29. April 2014
Der Besuch der Hannover Messe, gemeinsam mit meinem Kollegen Jan Schöntauf, liegt nun schon wieder zwei Wochen zurück. In meinen zwei früheren Beiträgen beschrieb ich, wie wir uns auf die Messe vorbereitet haben. Dieses Mal geht es um den eigentlichen Messebesuch.
Als ich in Hannover ankam, war es kalt, windig und regnerisch, was ich – so banal das auch klingen mag – als sehr unangenehm empfunden habe. Ohne Jacke von Halle zu Halle zu laufen, war zu kalt, aber drinnen war sie nur noch hinderlich und viel zu warm. Wohin also damit? Jeder Messeeingang verfügt zwar über eine eigene Garderobe, aber da man das Messegelände nicht unbedingt wieder am selben Punkt verlässt, sind doch einige logistische Überlegungen notwendig. Das gilt auch für die Wahl des Treffpunkts. Jan kam aus einer gänzlich anderen Richtung als ich. Zur vereinbarten Zeit befanden wir uns beide an einem Eingang, aber ungefähr einen Kilometer voneinander entfernt…
Messegelände Hannover © Jan Schöntauf
An die Arbeit
Nachdem wir die praktischen Probleme gelöst hatten, begannen wir eigentlich umgehend mit dem Abarbeiten unserer Listen mit den ausgewählten Unternehmen. Meistens kommen die Personen von den Ständen auf einen zu und nehmen einem die Überlegung ab, wie man am besten das Gespräch beginnt. Nur mal ein bisschen in der Broschüre blättern und sofort steht jemand neben einem. Was sich auch als sehr hilfreich erwiesen hat, waren unsere Badges, die unsere BDÜ-Mitgliedschaft zeigten. Das führte einige Male zu der direkten Frage, wer wir sind. Die E-Mails, die wir vorher verschickten, hatten dagegen überhaupt keinen Nutzen. Die können wir uns beim nächsten Mal sparen.
Am Anfang begannen wir die Gespräche noch mit einigen Fragen zu den Produkten, aber es zeigte sich schnell, dass es kein Problem war, direkt auf den Punkt zu kommen. Wir stellten uns sofort als Übersetzer vor, zeigten unser Interesse an der Branche und den Produkten des Ausstellers und fragten, ob es Bedarf an Übersetzungsdienstleistungen gibt.
Die Reaktionen waren sehr unterschiedlich, aber nie unangenehm und schon nach einigen Gesprächen war es viel einfacher, jemanden anzusprechen. Und trotzdem würde ich auch die nächste Messe gemeinsam mit einem Kollegen besuchen. Wenn man jemanden anspricht, ist man meistens nervös, sehr auf ein gutes Gespräch fixiert und auf eine gute Wirkung bedacht. Dadurch vergisst man Dinge und fragt manchmal nicht gut nach. Mit einem Kollegen hat man sozusagen einen Beobachter an der Seitenlinie dabei. Während ich probierte, das Gespräch zu führen, konnte Jan sich interessante Fragen einfallen lassen und kontrollieren, ob auch die Visitenkarten ausgetauscht worden waren. Außerdem konnten wir hinterher jedes Gespräch evaluieren und unsere Strategie weiter optimieren.
Ein Beispiel Die ersten Male nahm ich die von mir verschickte E-Mail als Ausgangspunkt für ein Gespräch. Dank der Beobachtung von Jan wurde schnell deutlich, dass dies nicht sonderlich effektiv war. Denn viele Personen, die ich per E-Mail kontaktiert hatte, waren bei der Messe nicht zugegen oder reagierten auf diese „Eröffnung“ nicht wie erhofft. In den folgenden Gesprächen brachte ich mein Anliegen daher schneller zur Sprache und hatte damit mehr Erfolg.
Ein anderes Beispiel Auf meiner Liste stand ein deutsches Unternehmen, das seinen Standort nah an der niederländischen Grenze hat und auch auf Messen in den Niederlanden ausstellt. Dieses Unternehmen verfügt aber nicht über eine Website und/oder Messematerialien in niederländischer Sprache. Während ich mich darauf konzentrierte, meinen Text herunterzubeten (es war das erste Unternehmen, das ich ansprach), hatte Jan von außen mehr Möglichkeiten, um mit einigen zielgerichteten Fragen in Erfahrung zu bringen, warum das Unternehmen keinen Bedarf an niederländischen Übersetzungen hat. Es stellte sich heraus, dass die Niederlande für dieses Unternehmen zwar ein wichtiger Handelsplatz sind, um ihre Produkte international zu vermarkten, jedoch keinen direkten Absatzmarkt darstellen. Diese Tatsache hätte ich so nie in Betracht gezogen und ich wäre nicht zu dieser Erkenntnis gelangt, wenn ich das Gespräch allein geführt hätte.
Niederländischer Zenstralstand (Holland Pavillon) © Jan Schöntauf
Und schließlich hatte ich auch das Gefühl, dass wir als „Duo“ unserem Anliegen mehr Präsenz verleihen konnten. Wir hatten so die Möglichkeit, uns mit einem breiteren Angebot vorzustellen (Dolmetschen, Übersetzen, zwei Sprachrichtungen) und professioneller aufzutreten.
Ergebnisse und Erkenntnisse
Wie erwartet, hat die Messe nicht unmittelbar zu konkreten Aufträgen geführt. Und die meisten Unternehmen von meiner Liste gaben an, auch in Zukunft keinen Bedarf an niederländischen Übersetzungen zu haben. Ein Argument, dass ich oft hörte, war, dass Niederländer ja sehr gut Englisch sprechen. Dem ist wenig entgegenzusetzen. Natürlich gibt es wichtige Argumente für Übersetzungen, aber es macht keinen Sinn, diese auf der Messe darzulegen. Meine Visitenkarte wurde aber einige Male mit der Bemerkung genommen, dass ab und an sehr wohl Bedarf an niederländischen Übersetzungen vorhanden ist. In den kommenden Wochen werde ich diese Unternehmen anrufen oder per E-Mail mit ihnen in Kontakt treten.
Jans Chancen sind etwas größer. Das kommt u.a. durch seine Sprachkombination Niederländisch-Deutsch. Da dieses Jahr die Niederlande Partnerland waren, gab es viele niederländische Unternehmen auf der Messe. Diese Unternehmen wollen ganz konkret Geschäfte in Deutschland machen und haben über kurz oder lang Bedarf an Übersetzungsdiensten. Für meine Sprachkombination Deutsch-Niederländisch galt das auf dieser Messe nicht. Wichtiges Fazit: Ich muss mich zukünftig auf Messen in den Niederlanden fokussieren, auf denen deutsche Unternehmen vertreten sind. Und am besten wären Messen, die als Schwerpunkt deutsch-niederländische Handelsbeziehungen haben.
Jan hatte zudem viele Start-up-Unternehmen auf seiner Liste. Einige reagierten sehr positiv auf unsere Anwesenheit und wollten sehr gern Visitenkarten austauschen. Wenn man als Übersetzer bei kürzlich gegründeten Unternehmen den Fuß in die Tür bekommt, ist das natürlich am besten. Meine Kunden stammen größtenteils aus etablierten Branchen. Ihre Geschäftsbeziehungen mit den Niederlanden bestehen oft schon seit Jahren und die meisten arbeiten daher schon mit Sprachdienstleistern zusammen. Das hat zu der Erkenntnis geführt, dass ich zukünftig eine neue Spezialisierung entwickeln muss. Dafür lieferte mir die Messe reichlich Ideen.
Aber auch wenn die Hannover Messe dieses Mal zu keiner konkreten Kundengewinnung führt, war der Messebesuch nicht umsonst. Ich habe viel über neue Entwicklungen und ihre ineinandergreifenden Zusammenhänge gelernt und das hat für mich einen großen Wert. Eine Messe ist der Platz schlechthin, um das größere Ganze zu entdecken, das man im Alltag nicht wahrnimmt. Von den Medien bekommt man alles stückchenweise präsentiert. Man liest über Entwicklungen, neue Produkte und Erfindungen, aber um genau zu erkennen, an welcher Stelle man als Übersetzer „einhaken“ kann, fehlt der Zusammenhang. Ich erläutere das gern etwas ausführlicher.
Auf der Messe präsentierte der niederländische Technologieverband FME/CMW dem niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte den Bericht Smart Industry. Dieser bietet genaue Informationen zum Entwicklungsstand von Industrie und Technologie in den Niederlanden sowie zu den Richtungen, in die sich Entwicklungen zukünftig bewegen werden. Er dient als Grundlage für politische und wirtschaftliche Entscheidungsprozesse in den Niederlanden. Andere Länder haben vergleichbare Programme, wie z.B. Deutschland (Industrie 4.0), die USA (NNMI) und Dänemark (MADE). Die Präsentationen, die ich während der Messe gesehen habe, über das, was auch die vierte industrielle Revolution genannt wird, halfen mir, all die losen Stückchen, die man täglich verabreicht bekommt, zu einem Ganzen zusammenzufügen. Und dann sieht man auf einmal die Märkte der Zukunft, die für Übersetzer interessant sein könnten. Im Nachhinein gesehen ist dies vielleicht das wertvollste Resultat meines Messebesuchs in Hannover.
Bericht Smart Industry
Fazit
Für Übersetzer ist es sinnvoll, ab und zu eine Messe zu besuchen. Es erweitert den Horizont und sorgt dafür, dass man in der eigenen Arbeit mitwächst und auf dem aktuellen Stand der Entwicklungen bleibt. Außerdem bietet eine Messe gute Möglichkeiten, potentielle Kunden ausfindig zu machen, z.B. durch ausführliche Ausstellerlisten. Die stellen eine hervorragende Grundlage für Vorakquise dar, ein Prozess, auf den ich bei näherer Betrachtung mehr Nachdruck hätte legen müssen. Und noch wertvoller ist die Erkenntnis, dass ein wichtiger Teil des Akquiseprozesses schon lange vor dem Messebeginn stattfinden muss. Auf diese Weise lässt sich bereits herausfinden, wer Interesse hat und wer nicht und man kann interessierte Unternehmen mit konkreten Angeboten für sich gewinnen. So kann man einen Bedarf erfüllen, bevor der potentielle Kunde diesen als solchen erkannt hat. Das schafft einen Zugewinn für beide Seiten. Das Gespräch am Messestand kann dann dafür genutzt werden, den ersten telefonischen Kontakt zu erweitern und zu vertiefen. Natürlich muss der Kontakt nach der Messer weiter gehalten werden.
Ich habe mich noch nicht mit dem Follow-up beschäftigt, aber ich kann jetzt eigentlich schon konstatieren, dass ein Messegespräch ohne ausführliche vorherige Akquisetätigkeiten nicht das Gewünschte einbringt, außer der Messerahmen ist optimal (Niederlande Partnerland) und man konnte die richtigen Kunden (Start-up-Unternehmen oder Unternehmen, die beabsichtigen, in den Niederländischen Markt einzusteigen) und Branchen (neue Märkte) herauspicken.
Lesen Sie in meinem vierten und letzten Beitrag: Das Follow-up